by Aesop Rock » 3. July 2004, 13:58
OK. Is aber natürlich noch die erste Rohfassung. Würde mich sehr über Feedback freuen.
Paris im Herbst.
Die letzten Monate des Jahres und das Ende des Jahrtausends.
Die Stadt ist für mich mit vielen Erinnerungen verbunden.
Erinnerungen an Cafés, an Musik, an Liebe... und an Tod.
George Stobbart saß auf der Terrasse eines Pariser Cafés mit Ausblick auf den Eifelturm.
Es war windig geworden, zu windig für seinen kalifornischen Geschmack.
Um sich ein wenig aufzuwärmen, hatte er sich eine Tasse Kaffee bestellt, die von der reizenden Bedienung gebracht wurde. Nicht ganz Georges Typ, aber trotzdem überaus ansehnlich. Blonde, von einem roten Haarreifen gebändigte, Haare, ein knappes, rotes Kleid und dazu rote Pumps, alles passend ausgewählt. Um die Hüfte der jungen Frau war eine kurze, weiße Schürze geschwungen, die aussah wie neu.
Sie stellte die Tasse Kaffee samt Untertasse auf dem Tisch ab, aus dessen Mitte ein Sonnenschirm ragte, der dieselben Farben wie die Marquise des Cafés trug, ein grelles Geld und ein dunkles Blau. George lehnte sich lässig auf der Stuhllehne auf und stützte seinen linken Fuß auf den Stuhl. Er strich sich durch seine kurzen, jedoch wallenden, blonden Haare und sah der Bedienung dabei in die Augen. Beide, George und die Französin, hatten blaue Augen. Sie erwiderte den Blick, begleitet durch ein zauberhaftes Lächeln.
Der Augenblick wurde jedoch unterbrochen, da die junge Frau blindlings in einen älteren Mann in Trenchcoat und Hut rannte. Die Bedienung erschrak, wechselte ihren Gesichtsausdruck sofort wieder in ein Lächeln, welches diesmal dem alten Mann galt, dessen Augen mit einer Brille ausgestatten waren. Zur Begrüßung und Entschuldigung gleichermaßen, zupfte sich der Mann an seinem grauen Hut.
George steckte sich einen Zahnstocher, den er aus seinem Hotel mitgenommen hatte in den Mund, sich bewusst werdend, dass er nicht der einzige war, dem diese Mademoiselle schöne Blicke zuwarf. Plötzlich trat etwas Buntes in sein Sichtfeld, im Augenwinkel zu seiner Linken. Mehrere bunte Luftballone stiegen vor seinem Gesicht auf, alle mit einem impertinenten Grinsen ausgestattet, soweit das für Ballone möglich war. Er zerstach mit seinem Zahnstocher eines der grinsenden Gesichter und dahinter äugte ihn ein ebenso impertinentes Grinsen an.
Vor ihm stand ein Clown in voller Montur. George konnte Clowns auf den Tod nicht ausstehen, er verstand nicht wie irgendwer die plumpen Späße eines Clowns und dessen lächerliche Aufmachung lustig finden konnte und dieses Exemplar eines Spaßmachers sah aus, als ob es in einen Topf Farbe gefallen war. Der Mann, der sich hinter der Fratze versteckte, trug einen unterdimensionalen Hut auf dem völlig geschminkten Kopf.
Seine buschigen Augenbrauen waren gelbblau gefärbt und er hatte sich rote Haare an den Hinterkopf geklebt, die zu beiden Seiten seines Schädels hervorsprossen.
Sein breites Grinsen wurde von der blutroten Lippenfarbe noch verstärkt und was darf natürlich bei keinem Trottel vom Dienst fehlen, die runde, rote Nase, die sehr verlockend auf Georges Faust wirkte, aber er hatte natürlich nicht vor dem Clown wirklich eine zu scheuern, es sei denn er würde ihn übermäßig belästigen.
Der Clown trug ein ballonartiges, gelbes Hemd mit roten Punkten darauf und einer grünblauen übergroßen Fliege um den Hals. In seinen von Handschuhen geschützten Händen hielt er eine kleine, braune Quetschkommode, mit der er George wahrscheinlich nerven wollte, so nahm George es jedenfalls an. Seine riesige, grüne Hose, die mit roten Flicken versehen war und wohl nur einem Sumo – Ringer passen würde, wurde von zwei violetten Hosenträgern gehalten. Genauso wie die rote Nase, durften natürlich auch die etliche Nummern zu großen, roten Clownschuhe nicht fehlen mit denen sich der Clown jedoch außerordentlich gut bewegen konnte. Entgegen Georges Vermutung ging ihm der Possenreißer nicht auf die Nerven, sondern marschierte schnurstracks in das Café, aus dem er nach ein paar verstrichenen Sekunden wieder heraus gerannt kam.
Seine Quetschkommode hatte sich in einen braunen Aktenkoffer verwandelt und George war sich sicher, dass das der Koffer war, mit dem der alte Mann kurz vorher ins Café gegangen war. Der Clown würdigte George keines Blickes mehr, er lief geradewegs an ihm vorbei und verschwand auf der anderen Straßenseite in einer unter einem Gebäude durchführenden Gasse. Wäre der Bereich um das Café etwas stärker befahren, wäre der Clown wahrscheinlich umgefahren worden, doch so hüpfte er vergnügt davon.
George war sich nicht sicher, was er von der ganzen Sache halten sollte und er konnte schwören, dass er ein leises Piepen vernahm. Kurz darauf flog das Café in die Luft.
Die Scheiben mit dem Schriftzug „BISTRO“ zerbarsten, die Terrassenmöbel flogen umher.
Die Marquise wurde von der Wucht der Explosion zerfetzt und George wurde von seinem Platz geschleudert. Einige, wenige Minuten später hatte sich die Situation beruhigt und man konnte nur das ständige Dröhnen des Verkehrs hören. Unter den Resten eines Sonnenschirmes regte sich etwas. George richtete sich auf, begleitet von einem erleichterten, aber entnervten Prusten. Als er endlich wieder auf den Füßen stand, stellte er fest, dass er nicht verletzt war, abgesehen von einem Piepen im Ohr und ein wenig Benommenheit.
Das Leben um ihn herum ging weiter, aber die Explosion sollte sein Leben für immer verändern.
Er sah sich vorsichtig um, während er seine grüne Jacke und seine Jeans von Staub befreite und musste feststellen, dass das Café völlig zerstört war, jedoch zum Glück nicht brannte
Scherben waren über den Bürgersteig verteilt, genauso wie die Terrassenmöbel des Cafés.
Er beugte sich, immer noch etwas schwindelig, über den Sonnenschirm.
Der Schirm hatte ihn vor der Wucht der Bombe beschützt, aber nun war er zu nichts mehr nütze.
„Das hätte was, unter den Schirm zu krabbeln und so zu tun, als ob nichts passiert wäre – aber nicht sehr viel...“
Georges Blick schwang hinüber zu dem Tisch, an dem er noch bis vor einigen Minuten gesessen hatte. Die Explosion hatte den Tisch glatt umgeworfen.
Sein erster Impuls war, den Tisch wieder hinzustellen, aber dann dachte er sich, dass es besser wäre, Beweismaterial nicht anzurühren. George wurde langsam wieder völlig klar im Kopf.
Etwas schwankend noch ging er zum Eingang des Cafés. Die Explosion hatte das Glas in tausend Stücke zerlegt und ein riesiges Loch hinterlassen.
Erst jetzt kamen ihm die Kellnerin und der alte Mann wieder in den Sinn.
George trat hinein, obwohl er Angst davor hatte, was er im nächsten Moment zu sehen bekommen könnte. Die Einrichtung war fast komplett hinüber. Die an der Wand hängenden Spiegel waren zerbrochen, die Möbel umgeworfen und kaputt, die Bar stand offensichtlich kurz vor dem Zusammenbruch und der Putz fiel von der Decke.
Unter einem Tisch und ein paar Stühlen zu Georges Rechten lag der alte Mann, die Brille immer noch auf der Nase. George ging langsam auf den Mann zu und er musste fast erbrechen. Der rechte Arm des Mannes war nach hinten abgeknickt und seine untere Hälfte war völlig zerfetzt und lag in größeren Teilen wahrscheinlich irgendwo unter den Trümmern.
George beugte sich zu dem armen Kerl herunter.
„Kaum zu glauben, dass ich ihn noch vor wenigen Minuten quicklebendig gesehen habe...“
Dachte George während er ohne ihn anzusehen, die Taschen des alten Mannes durchsuchte.
Keine Brieftasche, keine Papiere, keine Kreditkarten. Es war, als ob der Typ überhaupt nicht existiert hat. Ein Geräusch kam aus der hinteren Ecke des Raumes.
Die hübsche, junge Kellnerin lag am Fuße einer Sitzbank, regte sich im Gegensatz zu dem Mann aber noch. George hievte sie auf die Bank, deren edler Bezug nicht ramponiert war.
Sie kam wieder zu sich und sah George in die Augen, doch diesmal nicht mit diesem bezaubernden Lächeln, sondern mit glasigen Augen, die aus dem mit Staub befleckten Gesicht stachen. Sie fasste sich an den Kopf, er musste ziemlich dröhnen von der Explosion.
„Oh, mein Kopf. Nie wieder!“ Quäkte sie.
„Wie viel Wodka hab’ ich getrunken? Nein, sag es mir lieber nicht! Wie heißt du, Cheri?“
Sie war offensichtlich noch benommen und etwas wirr im Kopf.
„George Stobbart, Ma’am!“ Sagte er leise, um der Kellnerin nicht noch mehr Kopfschmerzen zu bereiten.
„Oh... Amerikaner?“
Es war eigentlich eine sehr unschuldige Frage, aber er konnte ihre Vorbehalte fühlen.
Das ist etwas mit dem irgendwie alle Europäer zu kämpfen haben, war George der Ansicht.
Um die Situation etwas aufzulockern, sagte er halb als Scherz, halb ernst gemeint:
„Sie sehen aus, als könnten Sie ein bisschen Hilfe gebrauchen...“
„Ich könnte einen Drink gebrauchen.“ Stöhnte sie mit einem krächzenden Unterton.
„Mir ist schlecht, schwindlig, ich fühle mich mies – und ich weiß noch nicht mal, was das für eine Party war!“ Sie war tatsächlich noch nicht wieder Herr der Lage.
„Entspannen Sie sich. Sie sind gerade umgekippt...“ Versuchte George sie zu besänftigen.
„Wie bitte? Was ist passiert?“ Fragte die junge Frau, während sie ihren Kopf in ihren Händen bettete.
„Es gab eine Explosion. Sie sollten sich lieber nicht bewegen.“ Riet George ihr, sich nicht sicher ob sie auch auf ihn hören würde.
Sie hakte nach: „Sind Sie Arzt?“ In ihrer Frage schwang ein Schuss von Hoffnung mit.
„Nö, aber als Kind hab’ ich immer Krankenhaus gespielt...“ Solche Ausrutscher passierten George öfters, da er von seinem Vater eine Extraportion Sarkasmus geerbt hatte.
„Können Sie sich denn an gar nichts erinnern?“ Er kam nun wieder zum Thema zurück, sich gedanklich verfluchend, dass er seine gelegentlichen Sarkasmusausbrüche immer noch nicht unter Kontrolle hatte.
„Non. Ich brauche einen Drink. Geben Sie mir einen Brandy.“ Ihr zartes Äußeres täuschte etwas über ihre scheinbare Trinkfestigkeit hinweg.
„Sie haben einen Schock. Keinen Alkohol.“ Befahl ihr George, wobei er sich erneut nicht sicher war, ob sie auf seinen Rat hören würde.
Der Blick der Frau wanderte durch den Raum und blieb ganz offensichtlich für George an der Leiche des alten Mannes hängen.
„Was ist mit dem alten Mann – ist er tot?“ Fragte sie, den Schreck in der Stimme schon anklingend.
„Natürlich nicht.“ George wollte kein hysterisches, französisches Mädchen am Hals haben – wenigstens in dem Augenblick nicht, also hoffte er, dass sie die schlechte Lüge schluckte.
An dem erleichterten Pusten der Kellnerin erkannte George, dass seine Lüge gewirkt hatte.
„Kannten Sie den alten Mann?“ Hakte George nach. Neugier stieg in ihm auf, schließlich wäre er fast ums Leben gekommen bei dem Schabernack dieses Spaßvogels.
„Nein, Monsieur, den habe ich nie zuvor gesehen.“
„Wie benahm sich der alte Mann?“ George stützte seine Hände auf seiner Hüfte auf.
„Er war... nervös. Er schaute sich ständig um – zur Tür, auf die Uhr...“
„Als ob er auf jemanden warten würde?“ Unterbrach George die Französin.
„Ja, würde ich sagen. Er hatte vor irgendetwas Angst, dass ist sicher.“ Sie hielt einen Moment inne und sprach dann eine Vermutung aus, die ihr im Nachhinein leid tat, da man nicht schlecht über Tote reden sollte: „Wenn Sie mich fragen, hatte er eine Affäre. Er hatte diesen schuldbewussten Blick... wie ein Ehemann auf Abwegen.“
George lenkte die Unterhaltung als nächstes auf den Clown: „Wissen Sie noch, was geschah, als der Clown hereinkam?“
„Ich erinnere mich noch an diese grässliche Melodie, die er spielte. Es war die reinste Begräbnismusik.“
„Ich konnte Akkordeonmusik sowieso noch nie leiden.“ Dachte er bei sich.
„Hat der Clown mit dem alten Mann gesprochen?“ Georges Neugier wuchs an, irgendwie war das schon sehr aufregend, auch wenn es natürlich schade um das Menschenleben war.
George liebte die Serie „Mord ist ihr Hobby“ und die alten „Miss Marple“ – Filme und er fühlte sich selbst langsam auch wie ein richtiger Detektiv, der im Zeichen des Guten verzwickte Fälle aufklärt und natürlich ging es ihm auch darum, diesen Clown im Gefängnis zu sehen für das, was er getan hatte.
„Nein – er lachte ihn nur aus.“ Das Fräulein klang immer betrübter und ihre Augen füllten sich mit Tränen, während sie weiter sprach: „Dann grabschte er sich den Koffer des alten Mannes und rannte raus.“